Das Geheimnis im Zylinder

Sensationelle Erfindung in einer Witzenhäuser Flüchtlingsbaracke

 Witzenhausen, im Oktober. Ein dumpfer Geruch von verbrauchter Luft schlägt mir entgegen, als ich am späten Abend noch die Flüchtlingsbaracke am Motzplatz in dem kleinen Kreisstädtchen an der Werra betrete. Hier sollte eine weltumspannende Erfindung gemacht sein? Fast kann ich es nicht glauben, als ich in dem vom trüben Licht einer 25-Watt-Birne erhellten Raum eine arme Flüchtlingsfamilie beim Abendbrot sitzen sehe.
 Aus dem Nebenraum ertönt Radiomusik von seltener Klangschärfe. Dann stehe ich einem untersetzten, bleichen Mann gegenüber, der in einer kleinen Seitenkammer seinen Arbeitsplatz aufgeschlagen hat. Es ist der 32jährige Elektriker Robert Denk, der Erfinder des röhrenlosen Radios. Sein Freund hat mich hierher gerufen, denn Denk wollte von seiner Erfindung nichts an die Öffentlichkeit dringen lassen, da er Angst hat vor einem "Zugriff" der Radioröhrenfabriken und anderer interessierter Kreise.
 An vielen Stellen der Welt wurde in der letzten Zeit an dem Problem des röhrenlosen Radios gebastelt, und greifbare Erfolge zwingen nun den Erfinder, sein Geheimnis doch preiszugeben, damit der Wahrheit die Ehre wird, denn das erste röhrenlose Radio der Welt ist im Februar 1948 in Witzenhausen an der Werra, Deutschland, fertiggestellt worden.
 Der Raum, in dem ich mich befinde, ist angefüllt mit elektrischen Apparaten und Radiobestandteilen, über dem Tisch ist ein großer Schaltkasten angebracht. Vor dem kleinen Ofen in der Ecke liegt ein Holzstoß, sonst kahle Wände. Der Winter schaut schon mit grimmigem Gesicht durch die Holzfugen an der Außenwand, und mir kommt der Gedanke, daß das Ganze wie ein Gegenstück zu Spitzwegs "Armem Poeten" anmutet, "der arme Erfinder".

Ein leidenschaftlicher Bastler

 Seit seiner Jugend ist Robert Denk, der aus dem Sudetenland stammt, ein eifriger Radiobastler. Aus dem mit Detektoren, Kondensatoren und anderen Radiogerätschaften überfüllten Zimmer seiner Jugend wuchs er in die Werkstatt des Elektrikers. Hier erwarb er sich seine technischen Fertigkeiten und vervollständigte sein theoretisches Wissen. Aber er sagt mir, daß er weit davon entfernt ist, ein ausgebildeter Radiofachmann zu sein; das Basteln ist eben seine persönliche Leidenschaft.
 Es war vor sechs Jahren, als Denk bei einer Fehlschaltung eine seltsame Entdeckung machte. Seine Erfindung ist also eigentlich ein Kind des Zufalls, aber es hängt viel Arbeit und Schweiß daran. Von diesem Zeitpunkt an ruhte er nicht, seine Erfindung praktisch zu verwirklichen, bis ihm nach 400 vergeblichen Versuchen endlich der große Treffer gelang. Seitdem ist der röhrenlose Empfänger mehrfach verbessert worden, bis er die heutige Leistungsstärke erreicht hat.
 Die eigentlichen Versuche begannen im November 1947, nachdem Denk aus dem Sudetenland flüchten mußte und nach längerem Umherirren endlich in Witzenhausen Unterschlupf gefunden hatte. Seine Frau und seine zwei kleinen Kinder ernährt er durch Reparaturarbeiten und den Bau von Armaturen und Meßinstrumenten für die Firma Wrona in Wanfried. Robert Denk hat, wie er erzählt, bei seinen Versuchen niemals an eine Verdienstmöglichkeit gedacht, und ich glaube diesem schlichten Mann, der da etwas unbeholfen vor mir steht und sogar versucht, seine Erfindung zu bagatellisieren.
 Heute aber zwingt ihn die Not, das Patent abzustoßen. Aber er will dafür sorgen, daß es nicht in falsche Hände kommt und daß es in Deutschland bleibt.
 Robert Denk ist nicht nur arm, sondern auch krank. Vor wenigen Wochen warf ihn ein schwerer Blutsturz aufs Krankenlager und er mußte seine weiteren Versuche unterbrechen. In dieser Umgebung und unter diesen Sorgen und Nöten wird er sich gewiß nur langsam, vielleicht gar nicht erholen können. Wer weiß, ob dieser Mann mit dem verheißungsvollen Namen je seinen Erfolg erleben wird.

Auf der Spur des Geheimnisses

 Ich trete an den Tisch heran, auf dem das Wunderwerk steht und mich ergreift eine unbezwingliche Neugier, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Der Erfinder lächelt nur und verspricht, mir alles zu erklären und ich sei dann hinterher genau so klug wie vorher.
 Auf einem gewöhnlichen Radiochassis von der Größe eines kleinen Volksempfängers sind ein Drehkondensator mit Spule, ein Selen-Trockengleichrichter, ein Transformator und ein Elektrolytkondensator aufgebaut. Die Schaltung ist etwas anders als bei einem gewöhnlichen Einkreisempfänger, aber gerade darin liegt ein Teil der Erfindung verborgen.
 Unter dem Sockel sitzt ein kleiner Aluminiumzylinder, der den Kernpunkt des Geheimnisses enthält. Äußerlich sieht er aus wie eine kleine Batterie und fast möchte es mir scheinen, als müßte man doch ergründen können, was dahinter verborgen ist. Aber gerade in der Einfachheit liegt die größte Schwierigkeit. Der Zylinder enthält eine Elektrode aus einer bestimmten Legierung, die mit einer Oxydschicht bestrichen ist. Soviel verrät der Erfinder, und er nennt mir sogar das Grundelement, bittet mich aber, darüber zu schweigen.
 Eine Spannung von 13 Volt (drei Taschenlampen-Batterien) genügt, um den Empfänger in Betrieb zu setzen. Das Gerät läuft aber auch bei jeder anderen, höheren Stromstärke oder Spannung, ganz gleich, ob es sich um Gleich- oder Wechselstrom, Netz- oder Akkuspannung handelt. Er ist äußerst trennscharf, benötigt aber eine gute Netzsiebung.
 Ich schalte den Apparat ein und im selben Augenblick höre ich auch schon Musik aus London. Da keine Röhren vorhanden sind, braucht der Empfänger keinen Heizstrom und ist sofort empfangsbereit. Auf Mittelwelle sind allein 32 Sender klar und deutlich zu hören.
 Aber Robert Denk begnügt sich nicht allein mit diesem Einkreisempfänger. In wenigen Wochen hat er einen Radiosuper ohne Röhren fertiggestellt, der die Größe von nur zwei Zigarrenkisten haben soll und die Leistung eines Achtröhren-Supers mit Kurz-, Mittel- und Langwelle vollbringt.
 Eine serienmäßige Fabrikation des röhrenlosen Radios ist nach Ansicht des Erfinders durchaus möglich und jeder Apparat kann durch kleine Umänderungen und Einbau der Elektrode zu einem röhrenlosen Gerät umgebaut werden.
 Bei serienmäßiger Produktion wird ein Radioapparat 50 Prozent billiger als bisher. Die Elektrode verbraucht sich nicht, sondern ist auf unbeschränkte Zeit verwendbar. Mein letztes Mißtrauen, es könnte sich doch vielleicht um eine Art Detektor, der nach dem Kristallprinzip arbeitet, handeln, wird beseitigt, als ich die enorme Leistungsfähigkeit und Lautstärke, bei geringem Stromaufwand, prüfen konnte.
 Es handelt sich tatsächlich um eine epochemachende Erfindung, die hier zustande gekommen ist. In Kürze können, wenn die Erfindung richtig ausgewertet wird, Empfänger hergestellt werden, die nicht nur so billig sind, daß sie auch wirtschaftlich schlechter Gestellte erwerben können, sondern die sich auch durch eine enorme Leistungsfähigkeit und Trennschärfe auszeichnen.
 Wenn auch an anderen Stellen in der Welt vielleicht zur gleichen Zeit Versuche auf diesem Gebiet in ein ähnliches Stadium getreten sind, wie kürzlich eine Meldung aus der Gegend von Hannover besagte, so gebührt doch dem Elektriker Robert Denk mit seinem im Februar 1948 fertiggestellten Gerät der Anspruch, Erfinder des röhrenlosen Radioapparates zu sein.

Achim von Roos


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